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Sahana Ramakrishnan: Ein Ozean der Zeit

Apr 26, 2024Apr 26, 2024

Ein hoch aufragender Schakal starrt lüstern über die Flutwelle. Krähen fliegen um seinen Kopf und tragen smaragdgrüne Wassertropfen, in denen sich Menschenbabys befinden. Über ihnen platzt ein glitzerndes Auge unter einer schwarzen Sonne. Dies ist Jackal Brings a New Era (2023), ein aktuelles Gemälde mit alten Symbolen. Wie bei vielen Werken in An Ocean of Time, Sahana Ramakrishnans erster New Yorker Einzelausstellung, können die Bilder anhand synkretistischer mythologischer Traditionen gelesen werden. Das Sol Niger und das dritte Auge von Shiva sind zwei Symbole der Zerstörung, die der Schöpfung Platz machen. Ersteres findet sich in der westlichen Alchemie und das andere in der hinduistischen Mythologie. Die Krähe und der Schakal hingegen sind Aasfresser, die in mehreren Mythologien als Betrüger und Kulturbringer auftreten. Beide sind Gemahlinnen der Göttin Kali in ihrer alten Gestalt, der Friedhofswärterin und Bezwingerin der Dämonen. Die Bilder in diesem Gemälde vereinen sich zu einer Botschaft, die über Kultur- und Zeitgrenzen hinweg verstanden werden kann: Aus dem Tod entsteht neues Leben; Apokalypse löst neue Welten aus.

Ramakrishnans Werk umfasst eine ozeanische Dimension und erinnert an die Weite der Schöpfung und die Weite tiefer Zeit. Vierzehn Gemälde, die alle in diesem Jahr entstanden sind und deren Größe von manuskriptähnlichen Tafeln bis hin zu wandgroßen Tableaus reicht, werden durch ein interspeziesartiges Theater aus Schlangen, Anemonen, Löwen, Tigern, Lebensbäumen und spekulativeren Körpern belebt, die alle darin aufgebaut sind transparente Schichten juwelenfarbener Ölfarbe. Viele dieser Figuren haben reiche mythologische Abstammungslinien, aber die traditionelle Ikonographie reicht nicht als Chiffre für Ramakrishnans Werk aus. In einem leuchtenden Selbstporträt erinnert uns die Künstlerin an die Gegenwart und zeigt sich in einem Carhartt-Overall und einem weiten Kapuzenpullover – einer ausgesprochen zeitgenössischen Künstleruniform, die einen deutlichen Kontrast zur zeitlosen Bildsprache der Ausstellung bildet. Beim Zeichnen blickt sie aus dem Rahmen und scheint eine äußere Realität auf die Leinwand zu übertragen.

In ihrem Künstlergespräch in der Fridman Gallery im September betonte Ramakrishnan eine gelebte Erfahrung im 21. Jahrhundert und führte ihre thematische Inspiration für dieses Werk auf transformative Begegnungen mit der mehr als menschlichen Welt zurück. Als Inspirationsquelle nannte sie die Gelegenheit, in ihrer Kindheit am Great Barrier Reef zu schnorcheln, „an die nichts herangekommen ist“, und eine Erinnerung, die nun vom Verlust infiziert ist. „Es macht mich unglaublich traurig, darüber nachzudenken, was damit passiert und wie viel für andere Generationen verloren geht“, sagte sie. Zu Lebzeiten des Künstlers wurde mehr als die Hälfte des Great Barrier Reef durch Bleiche im Zusammenhang mit steigenden Meerestemperaturen beschädigt. Verglichen mit der körperlichen Begegnung beim Tauchen ist das Wissen über die sich abzeichnende Katastrophe im größten Korallenriff unserer Welt eine Abstraktion; Sowohl für diesen Autor als auch für Ramakrishnan, der in Singapur aufgewachsen ist und jetzt in New Jersey lebt, kommt es nicht durch direkte Erfahrung, sondern durch wissenschaftliche Berichte von der anderen Seite des Planeten.

Wir alle leben mit der Seltsamkeit der globalisierten Informationsüberflutung und insbesondere mit dem Bewusstsein für ökologische Störungen auf globaler Ebene. Wie können wir den ozeanischen Überschuss von allem, was wir erleben, lesen, erben, erinnern und erahnen, assimilieren? Wie hängt eine sinnvolle Realität zusammen, wenn die Bedeutung selbst leicht zu abstrahieren, vergessen oder zerstört zu sein scheint? In Ramakrishnans Werk geht es um nichts Geringeres als die Suche nach einer Kosmologie zur Beantwortung dieser Fragen. In ihren Gemälden versuchen fragmentierte menschliche Körper, die reichen Welten in sich einzubeziehen: Schwebende Augen sind Zeugen; Ohren hören zu; Arme schlingen sich um die Ränder der Bilder; Münder gähnen zum Schlucken. Die explosive Leinwand „Cry Baby in the Deep“ mythologisiert direkt die Last einer überwältigenden Realität und zeigt eine schluchzende Frau auf dem Grund eines indigoblauen Ozeans. Sie wird von winzigen Nāga begleitet, schlangenartigen Halbgöttern, die in der Antike dafür bekannt waren, die Geheimnisse der Unterwelt zu hüten. Wir können nicht hören, was die Naga ihr ins Ohr flüstern, aber wir sehen, wie orangefarbene Tränen aus ihrem gequälten Gesicht fließen und unter ihr eine kochende Lache bilden.

Cry Baby in the Deep gewinnt im Dialog mit einem zeitgenössischen Sinnstreben, das oft stark auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, an Kraft. Das Gemälde wirkt fantastisch, doch Salzseen auf dem Meeresgrund sind für die moderne Wissenschaft kein Mythos. Sie sind als Solebecken bekannt, Wassermengen, die mindestens dreimal salziger sind als der umgebende Ozean, die auf dem Meeresboden extrem dichte Körper bilden, die oft mit geothermischem Methan und Schwefeldioxid vergiftet sind. Lebensformen wie wir können in diesen giftigen Gewässern nicht überleben, aber an den Rändern dieser Ozeane unter dem Meer gedeihen Ökosysteme, die auf einer Grundlage chemosynthetischer Mikroben aufgebaut sind, die Methan und Schwefel verstoffwechseln, um auf wundersame Weise Energie ohne Sonnenlicht zu erzeugen. Evolutionsbiologen gehen heute davon aus, dass chemosynthetische Organismen die ursprünglichen Lebensformen auf der Erde waren. Obwohl die Wissenschaft erst seit einem halben Jahrhundert über diese Tiefseeökosysteme informiert ist, vereinen sie sich mit jahrhundertealten Mythen über die Geheimnisse der Unterwelt und unzähligen Ursprungsgeschichten, die alle Anfänge auf das Meer zurückführen. Sowohl die Wissenschaft als auch die Mythologie erfordern einen gewissen Glauben an Dinge, die wir nie erleben werden, aber in ihren konvergierenden Einsichten finden wir möglicherweise Geschichten, die mit sichtbaren Katastrophen rechnen und darauf hinweisen, dass unsichtbare Prozesse der Welterschaffung in der Tiefe fortbestehen.

Oberfläche und Tiefe sind die formalen Grundlagen von Ramakrishnans Gemälden, die durch ihre glasierten Schichten Aufmerksamkeit und Bedeutung verbreiten und eine vielschichtige und mysteriöse Realität suggerieren. Viele der körperlosen Augen – ein allgegenwärtiges Motiv – sind nicht gemalt, sondern in funkelnden Rocaillesperlen auf die Leinwände geperlt, während Blattgolddetails und -kanten überall in den Werken an religiöse Ikonenmalerei erinnern. Diese dekorativen Elemente verweilen auf der Oberfläche der Werke und betonen deren vielschichtigen Charakter und erinnern uns daran, tiefer zu blicken. Wir können uns auch nicht auf die historische Exegese der mythologischen Personen des Werks beschränken, die Ramakrishnan lediglich als unterschiedliche „Häute“ für formverändernde Ideen charakterisierte. Der Wasserbüffel zum Beispiel war über Jahrtausende hinweg Gegenstand vieler Projektionen menschlicher Symbolik und Geschichten, von denen keine seine rätselhafte Erscheinung in „Die Erde bei Nacht“ (Sonnensturm) in einen Lichtvorhang einschließt. Traditionelle Bedeutungen sind immer noch nur die Oberfläche – oder vielleicht die mittlere Tiefe, die in der Ozeanographie als mesopelagische Schicht bezeichnet wird. In dieser Dämmerungszone des Meeres taucht die Welt mit zunehmender Tiefe allmählich in Dunkelheit, so wie alte Geschichten allmählich im kulturellen Gedächtnis verschwinden.

Nicht jede Bedeutung ist leicht lesbar, und unter allen Farb- und Bildschichten in Ramakrishnans Gemälden verbergen sich winzige handgeschriebene Texte, die jede Leinwand in ein verlockendes Manuskript verwandeln. Ein Großteil der Schrift ist unleserlich oder schwer zu erkennen, aber Sätze, die ans Licht der Oberfläche gelangen, unterstreichen die zugrunde liegende Bedeutung der Gemälde. „Bitte sagen Sie allen Tieren, dass es mir leid tut“, steht in rollenden Kursivwellen immer wieder in „The Messenger“, einem Gemälde, das eine Chimäre darstellt – mit den Köpfen eines Menschen, eines Büffels, eines Seeleoparden und eines anderen Lachs – der auf allen Vieren durch eine goldene Welle galoppiert und eine Botschaft in Form von zwei Seeschlangen auf seinem Bauch trägt.

In der mythologischen Tradition sind Schlangen Träger geheimen Wissens und oft auch Medizin. In Ramakrishnans monumentalem Song of the Naga taucht eine weitere Seeschlange aus einem rosa Muschelgehäuse auf, deren Körper sich zu einer perfekten Spirale zusammenrollt. Spiralen tauchen in fast jedem Gemälde in „An Ocean of Time“ auf, und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem unsere Galaxie diese Form annimmt – sie ist das ultimative Symbol für die Integration von Chaos und Ordnung und in der Lage, die Welt ganzheitlich zu umfassen. In den Wirbeln einer Muschelschale schwingen Geräusche mit, weshalb man sagt, dass man darin den Ozean hören kann. Die gleiche Form bildet bei Säugetieren die Cochlea des Innenohrs, die es uns ermöglicht, viele verschiedene Frequenzen zu hören. Aus den Tiefen des Ozeans bis zu Ihrem Innenohr taucht Ramakrishnans Schlange auf, um die Botschaft zu flüstern, die Sie heilen kann: Wir sind eine ununterbrochene Geschichte, ein nie endendes Lied.

Der Zweck der Mythologie besteht darin, komplexes ökologisches und kulturelles Wissen zu vermitteln und die geheimen Mechanismen der Verbindung zwischen Lebensformen zu transkribieren, die sich nicht in einfacher Sprache artikulieren lassen. Mythen waren schon immer „Häute“, mit denen man diese kostbaren Ideen verhüllen konnte, sowohl als Verkleidung, die sie schützte, als auch als Kostüme, die sie erkennbarer machten. In der modernen Welt gelten wissenschaftliche und mythologische Erkenntnisweisen seit langem als gegensätzlich, so dass das Wort „Mythos“ am häufigsten verwendet wird, um Unwahrheit zuzuschreiben. Aber wenn das in unserem wissenschaftlichen Paradigma generierte Wissen in uns den Wunsch weckt, unsere Kultur mit einer mehr als menschlichen Welt zu reparieren, werden diese verkörperten Formen des Wissens zurückkehren. Manche Meeresströmungen brauchen viele Jahrhunderte, um ihre Zyklen zu vollenden und dabei langsam Mineralien aus dem Abgrund wiederherzustellen. Wie der Bote, der in die neue Ära rast und mit dringender Weisheit aus der tiefen Vergangenheit aus den Wellen auftaucht, symbolisiert jede Figur in Ramakrishnans Gemälden das Streben nach Wiedereingliederung.

Alex A. Jones ist ein Autor, der derzeit in Brooklyn lebt. Ihr Projekt „Kunst und Ökologie im dritten Jahrtausend“ wird vom Arts Writers Grant der Andy Warhol Foundation unterstützt.

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